… ein Shelter, eine Art Internat im Dorf Moulimukundo, Parganas, ca 30 km außerhalb Kolkatas. Dort leben 22 – 25 Jungs aus den Slums und Squatters von Kolkata.
Sie alle sind sogenannte „rag-picker“, also Müllsammler. Die meisten haben Mißbrauchserfahrungen physischer und sexueller Natur. Geplant ist, dass Gebäude mit einer weiteren Etage auszubauen, um mehr Kindern diese Möglichkeit zu bieten. Es liegt wunderschön, hat viel Platz und die Kinder machen Erfahrungen mit Natur und Gartenarbeit. Sie besuchen die Dorfschule und werden liebevoll von 2 innewohnenden Betreuern begleitet. Warum keine Mädchen? Dies habe ich Shafkat auch gefragt. Es scheitert an den Finanzen. Mädchen in dieser Form zu betreuen bedeutet wesentlich höhere Sicherheitsvorkehrungen, um Mißbrauch ind kidnapping zu verhindern. Diese können von Tiljala Shed derzeit nicht aufgebracht werden 🙁
Gestern war es spät und so schlief ich heute mal etwas länger. Das war auch gut so, denn es wird noch ein terminreicher Tag. Und es ist erst einmal der letzte Tag für mich in Kolkata. Zuerst geht es ins Tiljala Shed Office, um die ein oder andere Absprache für die nächsten Tage zu treffen. Außerdem fand ich in der heutigen Tageszeitung ein Angebot, was ich unbedingt bekommen möchte. Ein USB-Stick im Scheckkartenformat mit Tagore Design und 150 Songs von Rabindranath Tagore. Ein schönes und praktisches Andenken. Tagore, Nobelpreisträger, Dichter, Musiker und auch Verfasser der indischen Nationalhymne. Leider nur über Amazon.in verfügbar. Rubina will versuchen, ihn zu bekommen, bevor ich endgültig weiter reise. Anschließend geht’s wieder in den open shelter und ich wiederhole die Fastenaktion vom Vortag in Aasra Sadan. Und wieder macht es großen Spaß, mit diesen interessierten, förmlich alles aufsaugenden Kindern zu arbeiten.
Es ist immer wieder ein tolles Miteinander. Wie gute Freunde. Inzwischen rutscht den Kindern auch nicht mehr (so oft) das „Sir“ raus und Hafizul zieht sich – wenn es doch passiert – schnell selbst an beiden Ohren 😉 Und natürlich bekomme ich als Zeichen der Gemeinschaft ein T-Shirt von den Jungs.
Ein bisschen war heute jedoch alles etwas durchgehetzt, es fehlte die Zeit. Es war nicht so einfach, mein Programm in das tgl. Programm des Shelters (Hausaufgaben, Mädchengruppe, Essen, Gebetszeiten usw.) einzubinden. Und trotzdem: ein intensives miteinander arbeiten.
Und der nächste Termin steht ja schon an. Ich habe noch 2 Familien zu besuchen. Beide wohnen im Squatter an den Gleisen. Die Familie von Atikul und Rozy. Rozy ist das „Patenkind“ einer Facebook-Freundin und ich habe in ihrem Auftrag ein Geschenk zu übergeben.
Dann geht es noch kurz zu Atikul.
Danach wartete schon Rubina auf mich, um mit mir in ein Stoffhaus zu fahren, denn wieder einmal nutze ich die Gelegenheit, mir einen Anzug schneidern zu lassen. In diesem Fall von ihrem Mann. Aber erst einmal die Qual der Wahl des Aussuchens des Stoffes. Aber ich habe ja klare Vorgaben meiner Tochter und so konnte ich die Auswahl recht schnell einschränken und verhindern, dass ich wieder aus 50 verschiedenen Stoffen aussuchen muss. Und – aus Erfahrung etwas klüger geworden – hat mir Michelle auch Bilder eines zu mir passenden Schnittes mitgegeben. So stellte sich auch dahingehend kein Problem dar. Das war letztes Jahr wesentlich aufwendiger. Wenn ich nächste Woche aus Rajasthan zurück bin, wird mein Anzug fertig und ich damit für einen möglichen Jobwechsel im kommenden Jahr vorbereitet sein 😉
Und anschließend bin ich noch mit Shafkat verabredet. Wir wollen Rinki Khatoon besuchen. Eine junge Dame, welche in ihrer Freizeit Karten und kleine Handwerksarbeiten herstellt, um ihren knappen Lohn etwas aufzubessern. Im Rahmen eines Social Entrepreneurships wollen wir überlegen, ob dies zum Beispiel auch in Deutschland zu verkaufen und ein höherer Erlös zu erzielen wäre … Letztendlich hetze ich mich zwar ab, aber es wird für sie zu spät und so bringt mir Shafkat ein paar Arbeitsproben vorbei. Ich bin gespannt, was daraus wird. Kann ich dahingehend in Deutschland etwas erreichen? Die Zeit wird es zeigen.
Mein Abend endet mit packen, denn morgen früh verlasse ich Kolkata erst einmal und begebe mich mit Zwischenstation in Delhi nach Rajasthan, um Kamlesh – mein jüngstes Patenkind – zu besuchen. Ich komme noch einmal wieder und trotzdem fällt der Abschied schwer. Ich nehme nur das nötigste mit und lasse meinen Rucksack bei Shafkat. Mal ein entspanntes Reisen ohne viel Gepäck. Das wird sich ja im Laufe der Wochen noch ändern.
Rozy – seit letztem Jahr Patenkind von Ulrike. Ich besuche ihre Familie, welche im Squatter an den Gleisen in Park Circus wohnt. Die Züge fahren im Minutentakt und in einem Abstand von vielleicht einem Meter an den Wohnungen der Menschen vorbei. Die Gefahr ist allgegenwärtig. Für mich kaum vorstellbar, Kinder dort aufzuziehen und zu schützen. Ein Moment der Unaufmerksamkeit genügt … Das Leben spielt sich auf und an den Gleisen ab. Wasser gibt es nicht vor Ort. Ich werde freundlich begrüßt, hereingebeten, zum Chai eingeladen. Rozy zeigt stolz ihre Schuluniform, ihre Zeichnungen. Ihre Schwester sitzt auf dem Bett. Vor 6 Monaten ist sie aus selbigen gestürzt (dem einzigen) und hat sich das Bein gebrochen. Immer noch geschient. Zwischen 2 Zügen entsteht ein Familienfoto. Hafizul und Atikul sind emsig darauf bedacht, mich vor Unvorsichtigkeiten zu beschützen. Aufwachsen in ständig notwendiger Achtsamkeit, in ständiger Gefahr. Schwer zu beschreiben, was in mir vorgeht, welche Gedanken mich beschäftigen. Ich wüsste nicht, wie ich mit dieser ständigen Gefahr umgehen würde. Ich erinnere mich, dass ich vor 2 Jahren dort auf den Gleisen unterwegs und so mit meinen Eindrücken beschäftigt war, dass mich Hafizul gerade noch rechtzeitig von den Gleisen ziehen konnte …
Aslam bringt mich zum Flughafen, ich reise mit leichtem Gepäck. Auch mal zu einer vernünftigen Zeit 😉 und damit ganz entspannt. Einchecken unproblematisch, kurzer Flug (2 1/2h) und so bin ich um 14:00 Uhr in Delhi. Erstmalig. Hotel hatte ich schon von zu Hause gebucht (Tashkent Palace), so dass ich mich auch am Flughafen auf keine Überraschungen hinsichtlich eventueller Taxi-Kosten mit Neulingsaufschlag einlassen musste, sondern ganz bequem ein Prepaid-Taxi wählte. Das Hotel ist mittendrin und ich bin überrascht, als ich dorthin fuhr. Delhi wirkt recht „aufgeräumt“, der Verkehr übersichtlich (nicht im Vergleich zu Berlin, aber zu Mumbai). Das Hotel überrascht mich ebenfalls (positiv). Schönes Zimmer, WLAN, Roof-top-Restaurant mit schwarzem Kaffee … Hier läßt es sich aushalten und ich empfehle es gern weiter.
Nach einem guten schwarzen Kaffee verschaffe ich mir erst einmal einen Überlick, wo in Delhi ich gelandet bin (bekomme tatsächlich einen Stadtplan geliehen), erkunde etwas die Umgebung, nutze das WLAN und beschließe, morgen in eine klasssische touristische Stadtrundfahrt per Auto zu investieren.
Aber heute erst einmal entspannen, etwas nachsinnen und Kolkata reflektieren. Ich bin noch nicht ganz weg. Und doch wieder in einem anderen Indien. Hier sind auch recht viele Touristen. Abends treffe ich noch eine ältere Dame im Restaurant mit einer besonderen Beziehung zu Indien. Sie will morgen ihren Guru besuchen. War ein recht spannendes Gespräch, wie dieser ihr Leben veränderte…
Abends dann noch mal aus dem Fenster geschaut und manche Bilder wiederholen sich in Indien einfach immer wieder.
Ausschlafen, rauf auf´s Dach und black coffee und „kontinentales Frühstück“. Für heute plane ich mal eine klassische touristische Stadtrundfahrt. Einerseits will ich die kurze Zeit in Delhi nutzen, anderseits erlaube ich mir einfach auch mal, „nur“ Tourist zu sein … Also das Angebot der Rezeption genutzt und eine ca. 8h-Fahrt zum „Festpreis“ gebucht, noch schnell einen Kaffee und schon ist der Fahrer da und unterbreitet mir seine Vorschläge. Ich schließe gleich mal x Besichtigungen mit „raus aus dem Auto – rein in …“ aus und los gehts.